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Ein Besuch bei Märklins Vorbildbau

Eine Glosse von Erik Meltzer <ermel@modellbahnfrokler.de>

Göppingen (Eigener Bericht/März 2007). Sorgfältig glättet der Vorbildbauer mit dem Winkelschleifer einen Grat an dem etwa suppenschüsselgroßen Metallring. Ein letzter prüfender Blick, dann spannt Gert Riebe das Teil aus und begibt sich damit zu der hinter ihm auf ihre Komplettierung wartenden kleinen Dampflok. Er klettert auf die vordere Pufferbohle und weiter hoch, hält das Teil oben an die Rauchkammertür, nickt zufrieden: Paßt.

Gert Riebe arbeitet bei Deutschlands größtem Modellbahnhersteller Märklin, aber er baut keine Modelle. Er baut Vorbilder. Oder genauer gesagt: er baut Vorbilder um, damit sie den Modellen seines Arbeitgebers stärker ähneln.

Die Idee ist nicht neu. Schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts begann Märklin, sogenannte "Werbeloks" in Auftrag zu geben: normale E-Loks, die mit Märklin-Werbung versehen waren und deren Modelle dann zu beliebten Sammlerstücken wurden. Modellbahnfrokler sprach mit Märklins Abteilungsleiter Vorbildbau, Prof. Dr. Kain v. Orbild, über die seither geleistete Arbeit.

Modellbahnfrokler: Herr Professor von Orbild, was machen Sie hier eigentlich?

v. Orbild: Wir bauen Vorbilder für Märklin-Modelle. Sehen Sie, der Nachbau existierender Vorbilder im Modell ist eine unbefriedigende Aufgabe. Sie müssen sich nicht nur exakt ans Vorbild halten, nein: Sie haben oft nur unzureichende Unterlagen darüber, und für jeden kleinen Fehler, den Sie dabei unweigerlich machen, werden Sie von der Fachpresse und den kritischen Kunden in der Luft zerrissen.

Modellbahnfrokler: Und Sie haben daraufhin also beschlossen ...

v. Orbild: ... uns unsere Vorbilder selber zu bauen, genau. So können wir eine größtmögliche Übereinstimmung von Vorbild und Modell erreichen, und das wird der Markt honorieren.

Modellbahnfrokler: Wie haben wir uns das konkret vorzustellen?

v. Orbild: Unser derzeit größtes Projekt ist der Bau verkürzter Reisezugwagen. Wir haben einige ausgemusterte Fahrzeuge von der Bahn-AG übernommen und bringen sie in unserer Werkstatt auf die modellgerechte Länge von 20,88 Metern.

Modellbahnfrokler: Das werden dann also ... Modelle der alten 24-Zentimeter-Blechwagen?

v. Orbild: Vorbilder.

Modellbahnfrokler: Ja natürlich, Verzeihung. Was soll denn dann mit diesen Waggons geschehen?

v. Orbild: Sie erhalten eine komfortable Inneneinrichtung, sechs Sitzwagen, ein Speisewagen, ein Barwagen, ein Gesellschaftswagen – und dann werden sie, natürlich in wechselnder Lackierung, als Sonderzug für Modellbahnfreunde zu verschiedenen Anlässen eingesetzt. Ob Neubau-Rheingold, Intercity, InterRegio oder schlichter D-Zug der Epoche 3: diese Wagen passen zu vielen Anlässen.

Modellbahnfrokler: Und zu jedem dieser Anlässe wollen Sie Ihre Wagen umlackieren?

v. Orbild: Natürlich. Und passende Modelle als Sonderserie herausbringen. Darum geht's ja.

Modellbahnfrokler: Ah ja.

v. Orbild: Später wollen wir dann auch einen passenden Aussichtswagen bauen. Bis zum Jubiläum "50 Jahre Neubau-Rheingold" 2012.

Modellbahnfrokler: Eine sehr ... interessante Entwicklung. Wie kam es eigentlich dazu?

v. Orbild: Nun, nach den Ihnen sicher bekannten Werbeloks und später den Sonderlackierungen unserer S 3/6 in blau und in den alten Rheingold-Farben war der Bann gebrochen, zumal auch ein Mitbewerber auf den Trend aufgesprungen war.

Modellbahnfrokler: Sie meinen Roco mit der roten 18 201.

v. Orbild: Genau, und schon zuvor mit der verkehrsroten 103. Als wir dann 2005 darangingen, ein Modell der E 03-Vorserie zu entwickeln, hätten wir eigens dafür einen neuen, vorbildgerechten Pantographen entwickeln müssen. Die Kosten allein dafür hätten mehrere 10.000 Euro betragen. Dann kamen wir aber auf die Idee, stattdessen dem Vorbild passende Pantographen zu verpassen. Das war eine Feierabendbastelei von mir, aus zölligem Flachstahl und alten Auspuffrohren.

Modellbahnfrokler: Die Presse schrieb damals von verbesserter Hochgeschwindigkeitstauglichkeit der neuen Pantographen bei gleichzeitig originalnaher Optik.

v. Orbild: Ach, die Presse haben wir doch schon seit den Achtzigern prima unter Kontrolle.

Modellbahnfrokler: Das stimmt.

v. Orbild: Das Modell wurde dann, wie Sie wissen, ein voller Erfolg. Und seitdem ist die Veränderung des Vorbilds eine Option, wenn der Bau eines korrekten Modells sonst zu aufwendig wird.

Modellbahnfrokler: Aber das betrifft doch nur aktuelle und Museumsfahrzeuge, oder?

v. Orbild: In erster Linie schon. Allerdings glauben wir, daß es uns durchaus gelingen könnte, durch das gezielte Umbauen vorhandener Fahrzeuge auch zu Modellen früherer Epochen sozusagen nachträglich passende Vorbilder zu finden.

Modellbahnfrokler: Das wäre Geschichtsfälschung.

v. Orbild: Ach was! Sparen Sie sich doch die großen Worte. Wir reden hier von Markterfordernissen.

Modellbahnfrokler: Herr Professor von Orbild, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Zurück in der Werkhalle: Gert Riebe hat unterdessen den Metallring an der Rauchkammertür angepunktet und ist nun dabei, mit Faserspachtel einen weichen Übergang zwischen Tür und Ring zu schaffen. "Im Modell gibt's auch keine scharfen Kanten", erläutert er. Mittlerweile ist auch zu erkennen, was er da baut: das kräftig überdimensionierte dritte Spitzenlicht. Der kleine C-Kuppler, an dem da gewerkelt wird, ist das modellgerechte Vorbild der Märklin-Anfangspackungs-Lok mit der Bestellnummer 3000.

"Das ist ein wirklich aufwendig zu bauendes Vorbild", meint Riebe während eines kurzen Gesprächs, zu dem er beim Abbinden des Spachtels Gelegenheit hat. "Sehen Sie mal hier, die Umlaufbleche: direkt an der Kesselverkleidung angeschweißt. Oder die Abdeckungen der Rohrleitungen am Kessel: das ist eine Arbeit, bis das aussieht wie angespritzt, das kann ich Ihnen sagen!" Mein Blick fällt auf die Treibstange. "Jooh", meint Riebe, "das war auch eine Aktion: hartverchromtes Schmiedealu als Treib- und Kuppelstangen, weil Stahl bei den Abmessungen zu schwer geworden wäre." Meine Frage nach der restlichen Steuerung beantwortet er mit einem Kopfnicken zum Modell, das auf der Werkbank liegt: "Das hat ja auch keine." Und wie fährt die Lok dann? Man sei, so erfahre ich, dabei, sie auf Innensteuerung umzubauen. "Bloß die 230 km/h Höchstgeschwindigkeit werden wir wohl nicht schaffen", ergänzt Riebe augenzwinkernd.

Auf dem Nebengleis in der Halle steht eine V 200 ohne Fenster mit aufgeschraubten Buchstaben und Ziffern aus Aluguß: "V 200 060" ist es, und dem Autor wird bei der Erinnerung ans Märklin-Gußmonster gleicher Nummer warm ums Herz. Aber wo sind die Fenster? In einem Nebenraum werde ich fündig. Hier beklebt ein Mitarbeiter der Firma "Scheiben-Doktor" sie mit einer Spezial-Folie: von innen nach außen werden sie durchsichtig sein, von außen nach innen aber glänzend hellgrau-opak.

"Beim Schienenbus letztes Jahr haben wir die gleiche Technik angewendet", erläutert der Scheibendoktor, dessen Namen er nicht genannt wissen will. "Aber bei der V 200 gehen wir einen Schritt weiter: hier werden die Fenster modellgerecht zurückgesetzt, um die hinterlegten Scheiben des Modells korrekt am Vorbild zu imitieren." Wir sehen also: Auch im Vorbildbau gibt es ständig Fortschritte, um die Vorbilder noch modellgerechter zu gestalten.

Bei Rad und Schiene jedoch, bei Kupplung und Mindestradius endet die Modelltreue. Fahren können sollen sie ja noch, die Vorbilder von Märklin. Die 3000 bekommt aber immerhin schon mal verchromte Schutzbleche über den Spurkränzen, die in Form und Größe Modellräder imitieren und es außerdem ermöglichen, die nicht modellgerechte Bremsanlage vor den Blicken des Publikums zu verstecken. "Und wegen der Kupplung wird von denen da oben gerade geprüft, ob man nicht 'ne Mittelpufferkupplung nehmen kann", erläutert Gert Riebe auf meine diesbezügliche Nachfrage. "Nur so kommen wir von der nicht modellgerechten Puffer-an-Puffer-Fahrerei weg und können die Puffer endlich verkürzen, höhersetzen oder sogar weglassen. Das wäre ein wichtiger Schritt hin zu mehr Modelltreue."

Voll von neuen Eindrücken verlasse ich die Hallen von Märklins Vorbildbau. Einige Worte aus Prof. v. Orbilds Mund sollen diesem Artikel als Schlußworte dienen. Ich hatte ihn gefragt, warum man ausgerechnet mir von der bekannt märklinkritischen Seite Modellbahnfrokler.de als erstem die heiligen Hallen öffne. "Ach wissen Sie", so v. Orbild: "Erstens machen Sie auf Ihrer Webseite da auch nichts anderes als wir, nur umgekehrt – und zweitens glaubt Ihnen das doch eh keiner."

Da könnte er recht haben. ;-)


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Zuletzt bearbeitet am 3. Januar 2004